shiny pictures / Glanzbilder
Wer kennt sie noch? Ich habe schon lange keine mehr gesehen, aber ich erinnere mich wieder an die seltsamen Momente der Faszination, die ihr Betrachten herbeizauberte. Auf dem Weg zur Grundschule, die damals noch Volksschule hieß, querten wir Kinder den Wochenmarkt. Er fand jeweils am Mittwoch und am Samstag statt. Dieser Markt bot allerdings, und darin war er vielen Märkten seiner Zeit gleich, nicht nur Frischwaren an, wie Gemüse und Obst, Fleisch und Backwaren, sondern auch Dinge des alltäglichen Bedarfs, wie Textilien, Putzmittel, Elektroartikel und was uns Kinder besonders interessierte, auch Spielzeug. Vor diesem Stand verlangsamten sich unsere Schritte und jeder versuchte als erster zu erkennen, was es diesmal Neues gab. Manchmal wars ein Puppenwagen, manchmal ein Schaukelpferd oder auch mal eine Spielküche. Aber das waren Besonderheiten. Das Standardangebot dagegen waren die kleinen Dinge, die der Betreiber des Standes, ein von uns allen für sehr alt gehaltener Mann mit schütterem fast weißem Haupthaar, in einer nur ihm zugänglichen Ordnung präsentierte.
Nach der Schule, samstags war immer um viertel vor zwölf Schluss und das Marktgeschehen noch in vollem Gange, bildete sich vor dem Spielzeugstand eine kleine Traube neugieriger Schulkinder, die allerdings ein wenig Mühe hatten, als Kunden wahrgenommen zu werden. Dabei hatten sie doch gerade daheim ihr Taschengeld für die nächste Woche kassiert. Wenn sie dann lange genug ungeduldig gewartet hatten, wagte irgendeiner oder vielleicht sogar ein eigentlich schüchternes Mädchen, die Aufmerksamkeit des alten Mannes hinter dem Stand auf die kleine Gruppe zu lenken, indem sie triumphierend rief, „Onkel Willi, wir wollen was kaufen“. Die Jungs interessierten sich speziell für die Wundertüten, die aber außerhalb der Reichweite ihrer Hände in einem kleinen blauen Plastikkorb aufbewahrt wurden und pro Stück 20 Pfennige kosteten. Onkel Willi reichte sie hinüber und jetzt galt es durch blitzschnelles Abtasten der vorhandenen Tütchen die Tüte zu identifizieren, die an diesem Tag den Hauptgewinn versprach. Es gab die Allerweltstüten , flach und kleiner wirkend, die Figuren enthielten, und manchmal war dazwischen eine unglaublich dicke Tüte, die wie aufgeladen aussah. Darauf hoffte jeder, wenn er mit seiner Hand in die Kiste fassen durfte. Wenn dieses große Glück einem hold war, fand man zum Beispiel ein Indianerzelt oder eine Kutsche. Währenddessen arbeiteten die Mädchen, neben den Jungs am Verkaufstisch stehend, das große Album durch, in dem die Glanzbilder aufbewahrt und präsentiert wurden. Jede Woche schienen neue Motive aufzutauchen und wurden entsprechend begeistert kommentiert. Es waren durchweg kitschige Darstellungen einer heilen Welt, die u.a. von Prinzessinnen, Engeln und Omas bevölkert war, die zu den Highlights des kindlichen Schauens wurden, weil ihre Oberflächen einen Glanz abstrahlten, der durch Glimmerapplikationen weiter verstärkt, jeden irgendwie in den Bann zog. Wir Jungs sprachen nie darüber, aber ich bin mir sicher, es ging auch anderen so, die wie ich eine Schwester hatten. Die Figuren waren ganz schön, aber die Glanzbilder hatten eine besondere Ausstrahlung. Man wollte sie unbedingt sehen. Danach erst waren dann wieder die Figuren dran.
Diese Szenen einer weit zurückliegenden Vergangenheit kamen mir erst mit Verzögerung und nach und nach in den Sinn, nachdem ich die ersten Stifte, ich begann mit Silber, schon einige Zeit im Gebrauch hatte.
Was erst nur begrenzt auf die Weihnachtszeit anwendbar schien, entpuppte sich als ein wichtiges Allround-Werkzeug beim Bearbeiten meiner zur analogen Weiterbearbeitung ausgedruckten Handy-Malereien. Ich stellte fest, dass Silber und Gold sich sehr gut in eine farbige Umgebung integrierten, ohne den Charakter des Bildes nennenswert zu verschieben. Zudem waren sie sehr effektive Abdecker. Was unter silbrigem oder goldenem Strich begraben wurde, war für immer beerdigt. Gleichzeitig bekam jedes Bild eine kleine Portion Großartigkeit zugeteilt, weil diese Farben als Überlebende einer feudalistischen Farb-Kultur, die nur im sakralen, bzw. kultischen Umfeld überdauert hatte, gesehen werden können. Erst als Metallic-Farben kehren sie als Abkömmlinge der Marketinggesellschaft wieder als säkulare Phänomene zurück. Ob als Autolack, Kochtopf oder Kugelschreiber. Sie machen den Unterschied. Und sie scheinen zusätzlichen Warenwert allein durch ihre Anmutung zu begründen.
Gleichzeitig sind sie aber auch Farbgebungen mit eigenen Rechten. In meiner Unerfahrenheit lockt mich die Vorstellung, dass sie zu meinen Farben geworden sind, dass sie zu den Eigenschaften meiner Bilder gehören könnten, die auf mich als den Urheber verweisen.
Die Vorstellung, ein Maler von neuen, abstrakten, manchmal geradezu verwilderten Glanzbildern zu werden, ist eine wahrhaftige POP-Idee, die mir gefällt. Die „Glanzbilder 2.0“ sind Teilziel eines Entwicklungsprozesses, der noch gegangen werden will. Sie würden jedes Bild mit einer Eigenschaft versehen, die der digitale Bildschirm nur andeuten kann, aber niemals reproduzieren. Wir können uns also hier zwar kennenlernen, werter Betrachter und Leser meiner Site, doch die analoge Begegnung von Mensch und Bild bleibt, wie vieles andere auch, eine notwendige und spannende Erfahrung.